Davud Rostam-Afschar ist Akademischer Rat am Fachgebiet Volkswirtschaftslehre, insbesondere Finanzwissenschaft (520 D) an der Universität Hohenheim. Der Schwerpunkt seiner Forschung liegt auf Konsum- und Sparverhalten, Arbeitsmarktentscheidungen sowie Steuer- und Transfersystemen. Johannes Klenk sprach mit ihm über seine Forschung.
Johannes Klenk: Was ist Ihr Forschungsthema? Worum geht es in Ihren Untersuchungen?
Davud Rostam-Afschar: Meine Forschung beschäftigt sich mit Regulierung, Systemen sozialer Sicherung, Besteuerung und Transferleistungen. Ich untersuche, wie sich rechtliche Regelungen auf das Arbeits- sowie das Konsum- und Sparverhalten auswirken und schätze die Verhaltenseffekte empirisch ab. Dabei entwickele ich verhaltensökonomische Erklärungsansätze von Ungleichheit im Einkommen, Vermögen und Konsum weiter und teste diese basierend auf Haushaltsbefragungen, amtlichen Statistiken und Experimenten. Meine Forschung befasst sich auch mit der Entwicklung und Verbesserung von Methoden, Daten aus den genannten Quellen zu erheben und zu analysieren.
Klenk: Was finden Sie persönlich als Forscher besonders spannend an Ihrem Thema?
Rostam-Afschar: Mich fasziniert, dass der Fortschritt in diesem Feld der Volkswirtschaftslehre spürbar ist: Theorien und Methoden, die noch vor 30 Jahren üblich waren, sind widerlegt oder verbessert worden. Ein Beispiel ist das sicherheitsäquivalente Konsum-Freizeit-Modell, nach dem viele beobachtete Entscheidungsmuster nur durch Irrationalität erklärt werden konnten. Darüber hinaus gibt es empirisch klare Ergebnisse, die vermutlich zu einem Teil den Fortschritten der Volkswirtschaftslehre zugeschrieben werden können: Die Armutsquoten sind in den letzten Jahrzehnten gefallen, während die Lebenserwartung gestiegen ist. Beeindruckende Arbeiten unter anderem vom Nobelpreisträger Angus Deaton diskutieren, inwieweit diese ‑ beispielsweise in der sogenannten Prestonkurve belegten Fakten ‑ in der wirtschaftlichen Entwicklung begründet sind. Dennoch gibt es noch viel zu erforschen. Oida ouk eidos, also ich weiß, dass es noch viel zu wissen gibt, gilt auch in stark entwickelten Zweigen der Volkswirtschaftslehre. Ich finde es interessant, über Verbesserungsmöglichkeiten und Alternativen zu der Art wie wir leben, wie wir arbeiten und konsumieren nachzudenken. Ein Beispiel: Ein bedingungsloses Grundeinkommen in Deutschland wäre finanzierbar, aber sehr teuer. Die Arbeitsbereitschaft würde nach meinen Ergebnissen zwar nicht stark sinken. Allerdings wären viele Menschen wohl nicht bereit, auf statussichernde Sozialversicherung zu verzichten. Außerdem wäre ein solches System anfälliger für Krisen, da es schneller die Grenzen der Finanzierbarkeit erreicht. Auch wenn es meiner Einschätzung nach nicht allzu bald zur Verwirklichung eines bedingungslosen Grundeinkommens in Deutschland kommen wird, lohnt es sich, darüber nachzudenken und mögliche Auswirkungen empirisch abzuschätzen. Denn das gegenwärtige Sozialversicherungssystem ist sicherlich verbesserungsfähig.
Äußerst spannend ist es, die bereits angesprochenen, scheinbar irrationalen Verhaltensweisen der Menschen zu untersuchen: Warum arbeiten Selbstständige bei geringerem Lohn mehr als andere Arbeitnehmer? Meine Ergebnisse zeigen, dass ein Teil der zusätzlichen Arbeitszeit darin begründet ist, dass Selbstständige präventiv Zusatzeinkommen generieren. Damit kommt zu den bekannten Gründen, warum und wie viele Stunden wir arbeiten, wie Lohnhöhe und Höhe des Nichtarbeitseinkommens, ein weiterer hinzu, nämlich das Lohnrisiko. Meine Forschung belegt nicht nur, dass ein Effekt des Lohnrisikos wirklich existiert, sondern ermöglicht die Berechnung der Anzahl der Arbeitsstunden, die Selbstständige leisten würden, wenn sie dieselbe Einkommenssicherheit wie Beamte hätten.
Ich finde es reizvoll, dass es in meinem Forschungsfeld starke Überschneidungen mit philosophischer, psychologischer, politikwissenschaftlicher und soziologischer Forschung gibt. Ein Beispiel ist die Frage der gerechten Besteuerung: Was gerecht ist, kann nicht allein mit ökonomischen Mitteln beantwortet werden. Der Philosoph Richard Rorty fragt etwa in seiner Definition von Gerechtigkeit als erweiterte Loyalität, auf welcher Grundlage Reiche ihrer politischen Freiheit loyal bleiben sollen oder ihre Freiheit zugunsten von mehr Gleichheit opfern sollen. Den Konflikt zwischen Freiheit und Gleichheit versuchte John Rawls in seiner Theorie der Gerechtigkeit durch gleiche Freiheitsrechte und Fokus auf die benachteiligteste Person sowie Chancengleichheit zu lösen. Bei der Fragestellung, wie ein gerechtes Steuersystem aussieht, sind verschiedene Gerechtigkeitskonzepte sehr relevant.
Klenk: Worin besteht die gesellschaftliche Relevanz des Forschungsprojekts bzw. der Ergebnisse?
Rostam-Afschar: Die Evaluation von Steuerreformen oder Regulierungen betrifft direkt die Art, wie viele Menschen leben und arbeiten. Beispielsweise hat die Novellierung der Handwerksordnung von 2004, die ich untersucht habe, die Arbeitswelt von etwa 5 Millionen Handwerkern in Deutschland verändert. Insbesondere die teilweise Aufhebung der Pflicht, vor einer Unternehmensgründung eine Meisterprüfung bestanden zu haben, wurde leidenschaftlich diskutiert. In einer meiner früheren Arbeiten konnte ich zeigen, wie groß die Auswirkungen dieser Novellierung tatsächlich waren.
Durch die Ergebnisse meiner jüngsten Projekte verstehen wir, wie wichtig das Vorsorgemotiv in Bezug auf das Arbeitsverhalten ist. Daher kann besser abgeschätzt werden, welche Auswirkungen höhere oder geringere Sozialversicherungsbeiträge und -leistungen hätten. Ziel aller Forschung der Volkswirtschaftslehre sollte es sein, zu erklären, wie eine gesellschaftliche Organisation ermöglicht werden kann, in der das Zusammenleben aller Menschen immer weiter verbessert werden kann. Ich hoffe, dass meine Ergebnisse dazu beitragen.
Klenk: Vielen Dank für das spannende Gespräch!