Legale Steuerschlupflöcher: Steuergerechtigkeit verkümmert zur Floskel [10.02.15]
Viele grenzüberschreitende Unternehmen nutzen Steuerschlupflöcher. Obwohl diese Art der Steuergestaltung rechtens ist, gilt sie als unfair. Schätzungen zufolge entgeht der EU jedes Jahr etwa eine Billion Euro durch Steuerumgehung und Steuerhinterziehung.Jetzt wollen die G20-Staaten auch der legalen Steuerflucht einen Riegel vorschieben. Doch der Hohenheimer Steuerexperte Prof. Dr. Holger Kahle zweifelt am Erfolg der Beratungen.
Wenn Privatpersonen steuerpflichtige Einkommen nicht deklarieren, ist das illegal: Es liegt Steuerhinterziehung vor. Demgegenüber kann die Steuergestaltung von Konzernen zu sehr geringen Steuerzahlungen führen und völlig legal sein.
Die derzeitige öffentliche Diskussion konzentriert sich primär auf US-amerikanische Unternehmen, die im Rahmen der Steuergestaltung auf legalem Wege ihre Steuerbelastung massiv reduziert haben, indem ihre Gewinne in Staaten anfallen, die diese Gewinne gering besteuern.
So hat etwa Google im Jahre 2010 5,8 Mrd. US $ ausländische Gewinne erzielt. Die Steuerbelastung belief sich auf 0,2 Mrd. US $. Die Rede ist von „Base Erosion and Profit Shifting“ (BEPS), also der Aushöhlung der inländischen Besteuerungsgrundlage und Gewinnverlagerungen.
„Die G20-Staaten, die OECD und die EU sehen massiven Handlungsbedarf, gegen BEPS vorzugehen“, meint Prof. Dr. Holger Kahle, Inhaber des Lehrstuhls für betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Prüfungswesen an der Universität Hohenheim.
Steuerschlupflöcher sind legal
Die Finanzminister der G20-Gruppe, der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer, beraten derzeit in Istanbul, wie man des Problems Herr werden kann. Prof. Dr. Kahle erwartet jedoch keinen nennenswerten Erfolg des Treffens.
Der Experte betont, dass diese Art der Steuerflucht nicht kriminell sei. „Es ist durchaus rechtens, wenn die Unternehmen ihre Ausgaben in Länder mit höherem Steuersatz legen und die Einnahmen in Niedrigsteuerländer“, bekräftigt er. „Doch legal ist nicht unbedingt auch legitim.“
Fraglicher Wille zur Harmonisierung der Steuersysteme
“Die Wurzel des Problems besteht darin, dass die Steuersysteme nicht harmonisiert sind – nicht einmal innerhalb der EU“, erläutert Prof. Dr. Kahle. Um etwas zu ändern, sollten sich die G20-Staaten zunächst einmal selbst einig werden.
Ursächlich für das Entstehen dieser Steuervorteile sind nicht harmonisierte oder koordinierte Steuersysteme in globalisierten Märkten.„Die steuerplanerische Nutzung dieser unterschiedlichen Steuersysteme ist völlig legal“, betont der Wissenschaftler. „Steuervermeidung ohne Täuschung und Betrug ist eine betriebswirtschaftliche Aufgabe und eben keine Steuerhinterziehung.“
Ambivalente Interessen vieler Staaten
Viele Niedrigsteuerländer und Steueroasen sind Profiteure des Steuerwettbewerbs. Selbst die Staaten, die sich für eine Beendigung des schädlichen Steuerwettbewerbs stark machen, haben eine ambivalente Interessenlage.
Beispielhaft ist hier das Vorgehen Großbritanniens zu nennen. „Premierminister Cameron spricht sich einerseits für eine Austrocknung der Steueroasen aus, andererseits ist am 1. April 2013 die so genannte Patentbox in Kraft getreten“, so Prof. Dr. Kahle.
Hiernach werden Einnahmen aus Patenten durch einen reduzierten Gewinnsteuersatz in Höhe von 10 % begünstigt, so dass Anreize geschaffen werden, steuerpflichtige Gewinne nach Großbritannien zu verlagern.
Steuervergünstigungen für Investitionen
Staaten wie etwa die Niederlande und Luxemburg, die keine Quellensteuern auf Lizenzgebühren erheben, lassen Steuergestaltungsmodelle wie bei Google attraktiv werden.
„Die Staaten kritisieren zwar die Unternehmen, wollen es sich selbst jedoch nicht nehmen lassen, durch Steuervorteile Investitionen anzulocken und Forschung und Entwicklung zu fördern“, so Prof. Dr. Kahle.
Steuergerechtigkeit setzt Kompromissbereitschaft voraus
Von Steuergerechtigkeit könne aber natürlich überhaupt nicht die Rede sein. „Wenn es einzelnen Unternehmen gelingt, in großem Umfang Steuern zu vermeiden, ist eine ungerechte Verteilung der Steuerlast das Resultat“, zieht Prof. Dr. Kahle Bilanz.
„Wettbewerbsverzerrungen und schließlich auch eine Einbuße an nationalem Steueraufkommen sind die Folge. Außerdem kann die Steuermoral aller Steuerzahler durch krasse Fälle der Steuervermeidung der multinationalen Unternehmen untergraben werden.“
Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen
Das Steuerdumping von amerikanischen multinational tätigen Unternehmen hat aber für betroffene inländische Wettbewerber eine erhebliche Wettbewerbsrelevanz.
Das deutsche Interesse am BEPS-Projekt zielt daher primär darauf ab, weitere Wettbewerbsnachteile für deutsche Unternehmen wie Internetunternehmen oder Buchhändler zu vermeiden.
Prof. Dr. Kahle betont jedoch: „Ohne Kompromissbereitschaft der internationalen Politik lassen sich umfangreiche Gewinnverlagerungen multinationaler Unternehmen nicht verhindern.“