Note 2- für Weltfinanzgipfel: Experten der Universität Hohenheim bewerten Aktionsplan der G-20-Staaten für neue Welt-Finanz-Architektur    [17.11.08]

Forscher verlangen mutigeres Konjunkturprogramm für mehr privaten Konsum / Absage an Forderungen der Auto-Industrie / Lob für Arbeit der Bundeskanzlerin   Expertenliste zur Finanzkrise unter www.uni-hohenheim.de/presse

Als „exzellent“ bewerteten Wirtschaftswissenschaftler der Universität Hohenheim die Arbeit der Bundeskanzlerin auf dem Weltfinanzgipfel, wo Angela Merkel maßgeblich zum Ausgleich zwischen französischer und US-amerikanischer Maximalposition beigetragen hätte. In einer ersten Analyse der Abschlusserklärung der G-20-Staaten sprachen sich die Forscher am Sonntag dafür aus, die deutsche Bankenaufsicht zu stärken und als unabhängige Behörde zu etablieren, das Quasi-Monopol der Rating-Agenturen zu brechen und die geplante Neuordnung der internationalen Bilanzierungs-Vorschriften nach deutschem Vorbild auszurichten. Mit Blick auf die Auswirkung der bestehenden Krise forderten die Forscher ein mutigeres Konjunkturprogramm. Denkbar wären zum Beispiel Steuer-Gutscheine, um den privaten Konsum zu fördern. Mittelfristig müsse sich die Bundesrepublik von der bisherigen Fixierung auf Exporte lösen.

In Schulnoten: 2-. So beurteilt Banken-Experte Prof. Dr. Hans-Peter Burghof von der Universität Hohenheim die Abschluss-Deklaration des am Samstag zu Ende gegangenen Weltfinanzgipfels: „Die formulierten Ziele sind vage, die am häufigsten gebrauchte Redewendung lautet: es sollte“, erklärte der Wirtschaftswissen-schaftler auf einer Pressekonferenz am gestrigen Sonntag. Die Abschlusserklärung sei immerhin eine Road- map, die in die richtige Richtung weise. „Doch auch mit einer Roadmap kann man immer noch trefflich verfahren.“

Trotz einschränkender Kritik sahen die Ökonomie-Professoren das Treffen der G-20-Staaten jedoch als „Riesenfortschritt“, so Prof. Dr. Burghof: „Nach dem die Welt ein Jahr verschlafen hat, beginnt sie endlich, die Krise international zu bewerten. Speziell die Bundesregierung agiert wesentlich kompetenter, als noch vor zwei Wochen. Und die Bundeskanzlerin hat in Washington sogar exzellente Arbeit geleistet, um die Maximalforderungen von Frankreich auf der einen und den USA auf der anderen Seite in Balance zu bringen.“ Die eigentliche Arbeit, so waren sich die Hohenheimer Finanzexperten einig, werde allerdings jetzt erst beginnen.

Forscher nennen konkrete Empfehlungen

Konkret hatten sich die G-20 Staaten in ihrer Abschluss-Deklaration darauf geeinigt, die Finanzmärkte stärker zu überwachen, die Transparenz von Finanzprodukten zu steigern, das Risikomanagement zu verbessern sowie internationale Kooperationen und internationale Finanzeinrichtungen zu stärken. Aufgabe der Finanzminister ist es, dazu Details auszuarbeiten und die ersten Schritte noch bis zum 31. März 2009 umzusetzen. Das weitere Vorgehen soll eine Folgekonferenz am 30. April klären.

Dazu leiteten die Ökonomie-Professoren folgende Empfehlungen aus der Abschlusserklärung ab:

• Für eine stärkere Überwachung müsse die deutsche Bankenaufsicht gestärkt und als unabhängige Behörde aus der Aufsicht des Finanzministeriums entlassen werden.

Erhöhte Transparenz erreiche die Bundesrepublik, indem sie ihr konservatives Bilanzierungsrecht beibehalte, anstatt das ermessensbehaftete System internationaler Rechnungslegungsstandards zu übernehmen.

Neben den konventionellen Stress-Tests muss das künftige Risikomanagement vor allem die hinter einem Zahlungsstrom stehenden Anreizstrukturen evaluieren, um die Anfälligkeit des Finanzsystems gegenüber groben Fehleinschätzungen von Risiken zu verringern.

• Zur Stärkung der internationalen Finanzeinrichtungen solle der Internationale Währungsfond die Rolle eines Frühwarnsystems übernehmen, das vorhandene Informationen aus einzelnen Banken zu einem Gesamtbild verknüpft, die tatsächliche Regulierung dann aber den nationalen Institutionen überlässt.

Gleichzeitig mahnten die Professoren gesamtwirtschaftlichen Handlungsbedarf an. Nach den vielversprechenden Ansätzen zur Stabilisierung des Bankensystems gehöre dazu:

• ein wesentlich mutigeres Konjunkturprogramm, das vor allem den privaten Konsum fördert

keine Pauschalförderungen einzelner Industriezweige wie zum Beispiel der Auto-Industrie

weniger Abhängigkeit von deutschen Exporten durch mehr Binnenkonsum

„Die Bankenaufsicht muss endlich als unabhängige Einrichtung etabliert werden“

Um die geforderte stärkere Kontrolle zu erreichen, ist es nach Ansicht von Prof Dr. Burghof unerlässlich, die Bankenaufsicht in Deutschland als unabhängige Behörde zu stärken: „Versagt haben in der Krise nicht nur die Banken – sondern auch die staatliche Aufsicht. Mit ein Grund ist, dass die Bankenaufsicht in Deutschland dem Finanzministerium zugeordnet ist - und hier gab es in der Vergangenheit Friktionen, obwohl manche Systemrisiken durchaus erkannt wurden.“

Wenig hält der Banken-Experte dagegen von der aktuellen Diskussion, die Bankenaufsicht mit der Bundesbank zu einer neuen Institution zu verschmelzen: „Die Diskussion besteht nur, weil die Bundesbank mit der Euro-Einführung Kompetenzen abgeben musste und nun neue Aufgaben sucht. Ich halte das für lancierte Nebelkerzen: Die Aufgabe der Bundesbank ist es, den Geldwert stabil zu halten – was sie durchaus gut getan hat – und die der Bankenaufsicht ist es, für Stabilität der Bank- und FInanzmärkte zu sorgen. Statt einer Zusammenführung sollten sich beide auf ihre jeweilige Aufgabe konzentrieren. Gleichzeitig sollte die Bankenaufsicht zu einer unabhängigen Institution aufgewertet werden.“

„Das Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz muss überdacht werden"

Auf eine globale Trendwende in den Bilanzierungsvorschriften hofft Prof. Dr. Holger Kahle vom Lehrstuhl für Steuerlehre und Prüfungswesen angesichts der Passagen, nach denen die Transparenz des Finanzsektors gesteigert werden soll. Die Bundesrepublik plant, das eigene Bilanzierungsrecht noch in diesem Jahr teilweise an amerikanische Standards anzunähern.

„Bislang galt in deutschen Bilanzen mittelständischer Unternehmen im Zweifelsfall der Grundsatz: Mehr Sein als Schein. Das heißt, dass Aktienbesitz und andere Wertpapiere in den Bilanzen nur zum Anschaffungs-preis ausgewiesen werden durften“, erklärte Prof. Dr. Kahle auf der Pressekonferenz. Anders die Bilanzen im angelsächsischen Raum: „Hier werden Finanzinstrumente mit dem beizulegenden Zeitwert (Fair Value) bewertet – obwohl dieser zusammen sehr ermessensbehaftet ist und dem Bilanzierenden einen weiten Spielraum verschafft." Die Bewertung zum Fair Value hat die Finanzkrise beschleunigt – hieraus sollte man Rückschlüsse ziehen.

Eindringlich warnte Prof. Dr. Kahle deshalb davor, das derzeit geplante Bilanzrechtsmodernisierungsgesetz (BilMoG) in seiner jetzigen Form umzusetzen: „Dabei handelt es sich um einen Gesetzesentwurf aus Zeiten vor der Finanzkrise, der das alte Bilanzierungsrecht dem viel riskanteren US-System angleicht“. Ein Vorhaben, das die Finanzkrise eindeutig als Irrweg entlarvt habe. „Nun erhalten wir auch durch den Weltfinanzgipfel einen eindeutigen Appell zur Kurskorrektur.“

„Das Quasi-Monopol der Rating-Agenturen muss gebrochen werden“

Dringenden Reformbedarf sieht Prof. Dr. Burghof auch bei der Rolle der Rating-Agenturen, die die Krise maßgeblich auslösten. „Während Banken um ihre Existenz bangen, sind es weltweit nach wie vor die gleichen drei Rating-Agenturen, die trotz miserabler Arbeit bestimmen, wer Zugang zu den Kapitalmärkten bekommt und wer nicht“, so Prof. Dr. Burghof.

Ein vielversprechender Ansatz sei es, in diesem Sektor mehr Wettbewerb zu schaffen: „Nur, wenn Rating- Agenturen auch pleite gehen können, weil es bessere Alternativen gibt, können wir die Agenturen zwingen, wirklich ihr Bestes zu geben“, begründete der Professor.

„Effektives Risiko-Management braucht Stress-Tests als Standard-Werkzeug“

Wenig Neues will der Bankenexperte dagegen in den Absichtserklärungen für ein verbessertes Risiko-Management erkannt haben. „Die Werkzeuge sind da – hier muss vor allem die Qualität gesteigert werden“, urteilte Prof. Dr. Burghof.

Eine wichtige Voraussetzung brächten nach seiner Ansicht so genannte Stress-Tests mit sich, bei denen Extrem-Bedingungen simuliert würden, um die Risiko-Anfälligkeit von Finanzstrukturen zu testen. Allerdings finde auch dieses Mittel seine Grenzen in der Fantasie derjenigen, die die Risiko-Szenarien entwürfen: „Noch vor Monaten hätte kein Mensch ein Szenario entworfen, das auch nur annähernd dem gleicht, was uns nun die Realität beschert hat“, räumte Prof. Dr. Burghof ein. Daher sei es dringend geboten, auch nach den Anreizen für eine sachgerechte Kontrolle und vertragsgemäße Bedienung von Verbindlichkeiten aus Finanztiteln zu fragen.

„Der IWF muss zum globalen Frühwarnsystem ausgebaut werden“

Als sehr positiv bezeichnet Prof. Dr. Peter Spahn vom Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik die in der Erklärung skizzierte Rolle des Internationalen Währungsfonds (IWF) „Der IWF hat heute schon weitreichenden Einblick in die Situation der einzelnen Banken. Seine Rolle sollte es sein, diese Informationen zu einem Gesamtbild zusammen zu führen“. Als eine Art Frühwarnsystem solle dieses Gesamtbild an die Akteure zurück-gespiegelt werden, um die tatsächliche Regulierung den nationalen Kontrollbehörden zu überlassen.

Gleichzeitig solle die Staatengemeinschaft nach Ansicht Prof. Dr. Spahns auch den Mut haben, unkonventionelle Wege zu gehen, um das Gleichgewicht zwischen Schuldnerländern und Gläubigerländern wieder herzustellen. „An dieser Stelle klafft in der Abschlusserklärung eine Lücke: Geldströme werden gar nicht thematisiert, dabei wäre es durchaus denkbar, auch Kapitalverkehrs- ströme stärker zu regulieren.“

„Die Deutschen sind in Sachen Konjunkturprogramm noch zu sparsam“

Wichtiger als das globale Ringen um Regulierungsmaßnahmen erscheint es Prof. Dr. Spahn jedoch, das aktuelle Konjunkturprogramm deutlich auszuweiten. Seine Empfehlung: „Im Minimum verdoppeln“, denn „derzeit ist Regulierung eigentlich ein Unthema. Die Märkte sind tot, es findet doch gar kein Austausch statt“. „Die Schulden kommen sowieso, noch haben wir es in der Hand, etwas Vernünftiges damit zu tun“, erklärte der Wirtschaftswissenschaftler vor Journalisten. Ein Weg sei es, kluge Infrastruktur-Ideen – etwa zur Energieeinsparung – jetzt schnell umzusetzen. „Wir sollten uns aber auch nicht davor drücken, ganz direkte Konsumförderung zu betreiben – etwa durch Steuergutscheine, die sehr schnell ausgegeben werden, um die Konjunktur auf breiter Front anzukurbeln.“

Gleichzeitig warnte der Volkswirt davor, jetzt „krampfhaft Projekte zu fördern, die wir bei Vollbeschäftigung auch nicht fördern würden.“ Als falsches Signal wertete er die Hilfe-Rufe aus der Automobilbranche. „Sinnvoller ist es, den Konsumenten direkt das Geld zu geben. Wenn die dann Autos kaufen, ist es fein. Wir müssen aber aufpassen, nicht in eine Pauschalförderung einzusteigen, die nur alte Strukturen konserviert.

„Deutschland muss sich vom Mythos des Exportweltmeisters verabschieden“

Mittelfristig sei es für Deutschland sogar vorteilhafter, sich endgültig von dem gern gepflegten Mythos des Exportweltmeisters zu verabschieden, meinte Prof. Dr. Spahn. „Gerade die hohe Exportabhängigkeit verursacht eine immer größere Abhängigkeit von globalen Krisen“, begründete der Volkswirt. „Hohe Exportüberschüsse sind legitim für ein aufstrebendes Schwellenland, das sich in der Weltwirtschaft erst noch behaupten muss – wirtschaftspolitisch ist Deutschland hier noch in der Nachkriegszeit stecken geblieben.“

Global gesehen entstünden durch solche Export-Fixierung erst die Ungleichgewichte, die die Finanzkrise möglich gemacht hätten: „Es sind nicht nur die Schuldnerländer wie die USA, die hier die Verantwortung tragen, sondern auch die starken Gläubiger, wie Deutschland und China.“

Text: Klebs

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Kontaktadresse (nicht zur Veröffentlichung):
Prof. Dr. Hans-Peter Burghof, Universität Hohenheim, Lehrstuhl für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen
Tel.: 0711 459-22901, E-Mail: burghof@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Peter Spahn, Universität Hohenheim, Lehrstuhl für Wirtschaftspolitik
Tel.: 0711 459-22591, E-Mail: spahn@uni-hohenheim.de
Prof. Dr. Holger Kahle, Universität Hohenheim, Lehrstuhl für betriebswirtschaftliche Steuerlehre und Prüfungswesen
Tel.: 0711 459-22907, E-Mail: kahle@uni-hohenheim.de


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